Kultfilm "Der Pate" im Theater


Eine Inszenierung von Francis Ford Coppolas "Pate"-Trilogie ist noch bis Dienstag im WUK zu sehen. Absolut empfehlenswert!
Die Pate-Trilogie auf der Bühne, dreieinhalb Stunden ohne Pause?! Das funktioniert. Samstagabend hatte "Pate I-III" der Zürcher Theatergruppe FAR A DAY CAGE (FADC) im WUK Premiere. Ein Haufen brillanter Schauspieler schlüpft in die unterschiedlichsten Rollen des Corleone-Clans samt Entourage, und bringt die Schlüssel-Szenen aus Francis Ford Coppolas Kultfilmen auf die Bühne. Gespielt wird auf Englisch - es gibt Übertitel - kommentiert wird auf Deutsch. Es wird geliebt, getötet und natürlich gekocht. Schließlich herrschen hier auch italienische Sitten.
In einem ersten Teil werden die typisch sizilianischen Spaghetti alle Sarde auf der Bühne zubereitet. Heimeliges Gefühl macht sich schnell beim Geruch der gebratenen Zwiebel breit; auch wenn nebenbei Blut und Tomatensugo gleichermaßen in rauen Mengen fließen - wir befinden uns schließlich im Hause Corleone. In einem dieser Handgemenge landet plötzlich eine ganze Packung Zucker in dem Kochtopf. Absicht? Premieren-Streich oder womöglich Unfall? Man weiß es nicht. Schauspieler und Publikum können sich das Lachen nicht verkneifen; ein traumhafter Anblick! Regisseur Tomas Schweigen kommt auf die Bühne und erklärt, dass nun eben Pizza bestellt wird.
La Familia
Die Beziehung zwischen Familie und Business spielt aber nicht nur bei der Mafia eine wesentliche Rolle. FADC schafft es neben der nicht ganz unkomplizierten Handlung auch noch diese fest verwobenen Stränge auf das Theater und die Kunst an sich - samt kleinem Seitenhieb auf die Hollywood-Industrie - zu übertragen.
In einem zweiten Teil geht es zu Tisch. An einer riesigen Bühne/Tafel nehmen Zuschauer und Schauspieler Platz. Es wird getanzt, musiziert, diskutiert und eben gegessen. Es gibt Pizza und Rotwein für alle. Es kommt das Gefühl auf, man wäre mitten in einer sizilianischen Hochzeitsgesellschaft gelandet. Auf diese Art und Weise vergeht die Zeit wie im Flug und als die letzte Rausschmeiß-Nummer gespielt wird, möchte man eigentlich viel lieber weiterfeiern als nach Hause gehen. Ein gelungener Theaterabend!
(Kurier; 17. Januar 2010/ Stella Reinhold)

Watteröllchen aus dem Handgepäck eines Don


Die Zürcher Theatergruppe Far A Day Cage kommt mit ihrem Mammut-Projekt "Pate I-III" nach Wien: Beim SpielArt-Festival in München erwies sich das Kultfilm-Reenactment als vergnügliche Mafia-Party.
Don Vito Corleone, wie er leibt und lebt, mit seiner New Yorker Familie, mit sizilianischem Essen und Trinken und melancholischen Gesängen; und das alles live - mit breiten Hosenträgern und originalgetreuen Backenwatteröllchen, so wie sie Marlon Brando in Francis Ford Coppolas Mafia- Klassiker The Godfather/ Der Pate (1972 ff.) im Mund getragen hat: ein Angebot, das Sie nicht ablehnen können? Ganz genau. Die um Regisseur Tomas Schweigen formierte Gruppe Far A Day Cage (FADC) aus Zürich hat sich den Kultfilm hergenommen, um in einem nicht nur zeitlich ausufernden Theaterabend (200 Minuten) Realität und Mythos des Films zusammenzuführen - und auf diesem Weg auch Rezeptionsmechanismen des Theaters mitzuverhandeln. Mit relativer Genauigkeit (vor allem, was die Kult-Zitate betrifft) erzählt Pate I-III die Geschichte der von argen Wechselfällen des Mafia-Schicksals geplagten Corleone Dynastie nach.
Es beginnt in der Küche, wo ein riesiger Pasta-Topf mit erlesenen Zutaten gefüllt und langsam zum Kochen gebracht wird. Irgendwer versalzt den Brei, und bevor herausgefunden werden kann, wer Schuld an der Misere trägt, kippt schon der erste Kopf nach hinten. Dann gleich ein zweiter, der Telefonapparat läutet, und jemand schaltet den Plattenspieler ein...
In solchen Momenten spielt das Theater die Atmosphären des Films nach, gibt klugerweise aber schnell wieder auf, um nicht dem puren Historismus zu verfallen. Denn der Schweizer Off-Gruppe geht es in ihrer aufwändigen Auseinandersetzung mindestens ebenso sehr um die Entstehungsgeschichte der Filmtrilogie, der ihrerseits einige "La Famiglia" -Lösungen eigen sind (es spielen immerhin einige Coppolas mit). Der Abend ist also ein Aufriss mehrerer Realitätsebenen: die Handlung des Films, der Dreh des Films, der Film als Reenactment am Theater.
All das ist Thema dieses Mammutabends, dessen Stränge mit fortschreitender Zeit immer mehr ineinandergreifen. Während es zu Beginn noch um subtile Regieideen geht (etwa wird ein weißesTischtuch mit einem Handgriff schnell zur Leinwand), so gewinnt die jeweilige Reflexion zunehmend an Raum, bis sich schließlich der im Ensemble geführte Diskurs auf das Publikum ausweitet. Fans können hier mit Detailwissen punkten.
Die Familien-Combo
Noch spannender als diese ungewöhnlich aktive Form der Publikumskommunikation ist allerdings der Part der Live-Musik. Aus der großen Mafia-Familien-Tafel, zu der man als Zuschauer irgendwann unversehens einfach dazugehört, weil man von ihrem Tisch gegessen und von ihrem Wein getrunken hat, nimmt das Figurenpersonal später, wenn das Vorgefallene nur mehr zu Beweinen ist, als Band Aufstellung. Und Pate II Michael Corleone (großartig: Silvester von Hösslin) singt, so herzergreifend, dass man meinen könnte, alles wird noch gut. Das ist nicht nur nette Musik, sondern auch die feierliche Hingabe an das kulturelle Gedächtnis eines Films.
Johannes Maile, Theaterleiter im Wuk, bringt die internationale Koproduktion nach Stationen u.a. beim SpielArt Festival in München nun nach Wien. FADC gastiert zwischen 16. und 19. Jänner in den Kultur-Werkstätten, jeweils 20 Uhr. In den letzten Jahren hat die Compagnie mit anderen außerformatigen Theaterentwürfen allseits Interesse erzeugt; in Wien gastierte sie zuletzt 2007 mit Nothing Company im Koproduktionshaus Brut.
(Der Standard; 12. Januar 2010/ Margarete Affenzeller aus München)

Aus der Corleone-Küche


Highlight beim SpielArt-Festival: Far A Day Cage spielte die Kultfilme «Der Pate I-III» nach – mit Essen fürs Publikum und familiärer Unterhaltung.
Alle drei «Pate»- Filme an einem Abend auf der Bühne nachspielen - wie soll das gehen? Es geht. Und bei der Schweizer Gruppe Far A Day Cage geht in dreieinhalb Stunden noch viel mehr. Denn in Tomas Schweigens genialer Inszenierung «Der Pate I-III» werden nicht nur die zentralen Szenen aus Francis Ford Coppolas Kultfilmen auf Englisch gespielt, sondern die Darsteller erklären auf Deutsch das Making-Of, kochen nebenbei und laden alle Zuschauer (weshalb deren Zahl leider auf 60 beschränkt ist) zum Essen mit Live-Orchesterbegleitung ein. Ein Highlight beim Theaterfestival SpielArt.
Die FADC-Arbeitsweise ist das Gegenteil eines Faraday-schen Käfigs – nämlich offen und durchlässig. Mit umwerfender Spiellust stürzen sich die Darsteller in die Rollen ihrer (genau studierten) Filmvorbilder Marlon Brando, Al Pacino & Co. Alle spielen mehrere Figuren, wechseln fliegend auf offener Bühne die Perücken, Jesse Inman stopft sich als Don Vito Tampons in die Backen, die ihm Brandos Unterkiefer verleihen. Die Mafia-Story des Corleone-Clans, das Familiendrama, die Entstehungsgeschichte eines Kultfilms, das alles mischt sich hinreissend leicht und komisch.
Zu einer prächtigen Stunt-Prügelei liefern die Köche mit Messern, Brettern und Töpfen den Soundtrack, beim Ehekrach fliegen die Kochgeräte und Zutaten, wobei leider der Zucker in der live köchelnden Pasta-Sauce landet. Dann werden die Zuschauer zum Essen an einen riesigen Tisch gebeten. Die Darsteller spielen Musik dazu, unterhalten sich mit dem Publikum, stellen und beantworten Fragen, und spielen dann einfach auf dem Tisch weiter. Far A Day Cage schafft mit allereinfachsten mitteln Atmosphäre und Spannung. Und die Film-Nacherzählung samt Kommentar funktioniert bestens, auch wenn man die Originale nie gesehen hat.
(Abendzeitung München; 3. Dezember 2009/ Gabriella Lorenz)

Paten und Kroaten


Spielart I: Die Aufführungen der vergangenen Tage.
Irgendwie hat man den Eindruck, die können alles. Die Mitglieder der Schweizer Theaterfamilie Far A Day Cage. Sie können theaterspielen, also in Rollen hineinschlüpfen und wieder hinaus, dazwischen ein bisschen das eigene Treiben kommentieren. Sie können Musik machen und singen, als wären sie seit Jahr und Tag eine herrlich altmodische Jazzcombo. Nur kochen können sie nicht, obwohl sie es während eines Gutteils der Aufführung im Carl-Orff-Saal tun.
Spielart ist auch immer ein klein wenig ein Festival der Kulinarik, in dem Sinne als es was zu essen gibt. Oben genannte Schweizer haben es sich zur Aufgabe gemacht, den «Pate I-III», Coppolas Familientrilogie, auf die Bühne zu bringen. Und da die Mafia, so sie einen nicht umbringt, Sinn für Gastfreundschaft hat – zumindest jene Mafia, um die es hier geht, nicht die tatsächliche, viel ungemütlichere –, wird das Publikum bewirtet. Nicht mit der Nudelsauce, in die, natürlich rein zufällig, während des theatralen Kochvorgangs eine Tüte Zucker fällt, sondern mit Pizza und Nero D'Avola. Dazu wird das Publikum nach zwei Stunden von der Tribüne an einen riesigen Tisch gebeten, der in der Mitte ein Loch hat, in welchem die Kompanie-Mitglieder sich zur Combo gruppieren. Wein, Gesang – und Erkenntnis?
Also zunächst ist es einfach ein Heidenspass mit zu erleben, wie hier im Schweinsgalopp und hochvirtuos die beiden ersten Teile der Saga erzählt werden, von vier brillanten Schauspielern, die die Rollen in rasendem Tempo wechseln. Perücke auf, peng, Perücke ab, wer ist Opfer, wer ist Täter – gerade im Mafia-Milieu eine hochspannende Frage. Dann erzählen zwischendurch immer die Darsteller, unter ihnen auch der Gitarre spielende Regisseur Tomas Schweigen, was das alles soll, wie es zu den Filmen respektive zur Aufführung kam. Kleine postdramatische Interludien sind dies, Mosaiksteinchen in einem ständig die Perspektive ändernden Panorama.
Zwar erfährt man nichts neues über die Filme, macht die fast erschreckende Ähnlichkeit mancher Akteure mit den Filmschauspielern klar, dass die Aufführung kein Kommentar, sondern eine Liebeserklärung ist. Aber als kluges Unterhaltungstheater funktioniert das so lange gut, bis in einem viel zu langen selbstreferentiellen Nachspiel die Schauspieler sich über sich selbst äussern. Das braucht man nicht – und es trübt den Gesamteindruck um eine Note der beflissenen Streberhaftigkeit gegenüber aktuellen ästhetischen Diskursen. Im Spiel davor haben sie das Verhältnis Darsteller – Rollen viel schöner beleuchtet. (...)
(Süddeutsche Zeitung, 05./06. Dezember 2009)

Pizza beim Paten


Wahrlich ein ehrgeiziges Projekt – einen dreiteiligen, mehrfach Oscar prämierten und viel diskutierten Filmklassiker an einem Theaterabend nachzustellen und zu erklären.
Far A Day Cage heissen die schweizerischen Theaterkünstler, die unter der Regie von Tomas Schweigen das Stück «Der Pate I-III» aufführen, und es darf vorausgeschickt werden: Sie haben ein Bravurstück mit diesem Beitrag zum Spielart -Festival 2009. Der Carl-Orff-Saal ist zu einem kleinen gemütlichen Werkstattraum umgebaut: Nah an der Bühne steil aufsteigende Holzbankreihen mit roten Polsterkissen, die später noch ihren Sinn haben werden – sehr viel später. Auf der schmalen Bühne steht eine lange Tafel, die sich nach und nach mit Ess-und Kochutensilien füllt. Darüber eine Leinwand, auf der einige markante Regieanweisungen aus dem Film eingeblendet werden sowie die Dialogpassagen auf Deutsch, denn die nachgespielten Filmszenen sind auf Englisch oder Italienisch. Sieben Schauspieler übernehmen alle wichtigen Rollen aus den Filmen, wechseln eben mal schnell die Perücke oder die Jacke und schlüpfen derart elegant von Ehemann in Mafiaboss, vom stolpernden Hallodri zum aufstrebenden Killer.
Während diese Verwandlungsarien in Stücken allzu oft nur bemüht wirken und eher zu Missverständnissen als zur Erhellung der Story oder bestenfalls Erheiterung dienen, gelingt hier die Figurenübergabe perfekt. Das liegt vor allem daran, dass die Inszenierung sich selbst zum Thema macht. Das Stück « Der Pate I-III» stellt nämlich die Produktionsprozesse der drei Filme aus. Es gibt dafür eine Handvoll Personen, die sich als Schauspieler und nicht als Rollen auf der Bühne bewegen (und nebenbei kochen). Sie erklären, was in den Szenen passiert, die sie gleich spielen werden, wie sie diese interpretieren und weshalb diese Szenen Schlüsselszenen für die weiteren Entwicklungen im Film sind. Anschliessend verschwinden sie hinter dem transparenten Vorhang, der den hinteren Bühnenraum abtrennt, und kehren als Filmfigur zurück oder führen ohren Rollenwechsel charmant gleich direkt auf der Bühne durch. Hin und wieder vermischen sich dabei die Ebnen zwischen Theaterschauspieler, Filmschauspieler und Figuren.
Übrigens wird auf der Bühne tatsächlich gekocht, mit herrlichem Aroma. Ein klassisches sizilianisches Nudelgericht soll es werden, zu dem anschliessend alle als Gäste eingeladen sind – doch es gibt Probleme. Nach ungefähr zwei Stunden unterbricht der Regisseur die Aufführung und gesteht, dass die Sosse misslungen sei. Später werden sich die Schauspieler drüber unterhalten, wer das verbockt hat: Irgendeiner hat aus Versehen wohl in jeder seiner Rollen gewürzt, nicht nur als eine Figur... Nun denn, es wird Pizza geben.
Die vier Hauptdarsteller Philippe Graff, Silvester von Hösslin, Jesse Inman und Grazia Pergoletti treten als Filmfiguren in die Spuren von Stars wie Marlon Brando, Al Pacino, Diane Keaton und Robert Duvall. Allesamt sind sie wunderbar, herausragend ist Jesse Inman als Don Vito Corleone, denn ihm gelingt nicht nur die Imitation der Figur des Mafiabosses, sondern vielmehr auch eine Persiflage auf die Schauspielerfigur Brandos.
Schliesslich fällt der Zwischenvorhang und gibt den Blick auf die grosse Bühne frei, denn der Abend ist – wie schon angedeutet – noch lange nicht zu Ende. Eine riesige Tafel mit rot-weiss-karierter Tischdecke ist aufgebaut. In deren Mitte sitzen leicht vertieft die Schauspieler und brillieren auch als Musiker – italienische Klänge, passend zu dem Rotwein und der Pizza, die serviert wird. Nun verteilen sich die Schauspieler unter ihren Essensgästen und diskutieren, wie der Pate weitergeht, über logische Lücken im Film und wie sie diese ausfüllen wollen. Und weiter geht es mit den Teilen II und III. Es wird wieder munter betrogen, gerächt, gemordet und nebenbei musiziert, gegessen, getrunken und ein Fest mit der Familie (dem Publikum) gefeiert.
Die schnellen Wechsel von der diskutierenden Schauspielgruppe hin zu einer Filmszene werden nun noch häufiger, in der Nachstellung des dritten Teils kommt noch die Ebene der Produktion des Films an sich hinzu- der Coppola-Clan, die Schauspielerauswahl, Geldverhandlungen mit der Produktionsfirma und die Frage: Was hat es mit diesem dritten Teil überhaupt noch auf sich? War der eine rein geschäftliche Angelegenheit?
Der fast vierstündige Theaterabend verfolgt konsequent seine Linie und ist deswegen nie zu viel oder anstrengend. Die Verwandlungen sind klar gesetzt, die Ausstattung der Filmfiguren und der Bühne sind stilsicher (Raum:Stephan Weber, Kostüm: Gwendolyn Bahr), die Auswahl der Szenen erbeben einen stimmigen Ablauf (Dramaturgie: Anja Dirks) und die amüsanten Einschübe in der Gegenwartsebene sind tatsächlich auch erhellend. Hinzu kommen die musikalische Untermalung, die von den Schauspielern geleistet wird, sowie die Einspielungen von Filmtönen wie Schusssalven oder Autogeräusche, die ideal kombiniert sind und die authentische Stimmung der Inszenierung abrunden. All das sorgt für einen ebenso spannenden wie innovativen Theaterabend.
(cult:online; 02. Dezember 2009/ Tina Schlegel)

Unplugged


Das Projekt «Der Pate I-III» der Gruppe «Far A Day Cage» erinnert von der Arbeitsweise an die früheren Unplugged-Stücke von Barbbara Weber. Die Inhalte der Filme, die Umstände, die familiären Verknüpfungen der Coppolas im Vergleich mit jenen der Corleones werden ergänzt durch ein Abendessen für alle und Hausmusik vom feinsten.
Die dreieinhalb Stunden, die der Abend letztlich dauert, beinhalten auch Längen das sollte einen aber auf keinen Fall vom Besuch abhalten. Denn die hier präsentierte kultverdächtige Bearbeitung einer Kulttrilogie dauert immer noch nur rund einen Dritter der zeit, die die Sichtung der Filme dauern würde.. Dazu gibt es haufenweise unnützes Hintergrundwissen, sehr schräge Einlagen und basisdemokratische Diskussionen über einzelne Szenen sämtlicher am Projekt Beteiligter (vom Regisseur bis zur Ausstatterin). Je nach Szene wird in gebrochenem Englisch mit deutschen Untertiteln gesprochen – oder dann italienisch, was einige Ensemblemitglieder zur Korrektur der Aussprache anderer animiert. «Der Pate I-III» ist demnach der sehr unernste Umgang mir einer fast schon Säulenheiligen-Trilogie. Erfrischend lustbetont und schön schräg, sodass der Abend auch für jene Zucker bereit hält, die vielleicht nicht ganz alle Filme gesehen haben, und wenn schon, dann vor Jahrzehnten - was die detailreiche Erinnerung nicht gerade befördert. Hier kommt alles wieder hoch, und statt der Ernsthaftigkeit einer honorigen Nachbearbeitung ist «Far A Day Cage» schlicht unverschämt, was zahllose Situationen zum laut loslachen generiert. Im klassischen Sinne Theater ist das natürlich nicht, aber die Gruppe ist seit ihrem «Odysseus»- Projekt innerhalb der Reihe «Gipfelstürmer» vor vier Jahren an der Gessnerallee ist auch auf der Suche nach neuen Darstellungsformen für die Bühne. Diese Variante hier gefällt mal wieder sehr gut.
(P.S.; 4. Juni 2009/ Thierry Frochaux)

Die Zürcher Theatergruppe Far A Day Cage steht vor dem Durchbruch auf dem internationalen Festivalparkett.


Basis des Erfolgs ist ihr eigenwilliges Spiel mit berühmten Stoffen. Nun nimmt die Gruppe den Mafiakino-Mythos "Der Pate I-III" auseinander.
Einen Kultfilm zerrt man selten aufs Theater, ohne dass sich der Kultfilm dafür am Theater rächt. Die gängigsten Fallen, in die so eine Bühnenadaption dann tappt:
1.Darsteller X hält sich für Hollywoodstar Y.
2.Darsteller X hält sich für talentierter als Hollywoodstar Y.
3.Die Regie versteht das Drehbuch als Einladung zur Materialschlacht.
4.Die Materialschlacht findet statt, darf aber nichts kosten.

LISTIG. Far A Day Cage funktionieren anders. Die Formation um den Regisseur Tomas Schweigen (32), die sich 2004 an der Zürcher Theaterhochschule gefunden hat, hinterfragt listig Francis Ford Coppolas Geschäftsmoral, kolportiert, wie der Filmregisseur sich aus Profit-Gründen zu zwei Sequels hinreissen lässt, wie Schauspieler mit hohen Gagenforderungen eliminiert und Coppolas eigene Sippe in die Produktion geschleust wird. Sein Vater komponiert für den <>, Schwester Talia Shire spielt mit, ebenso Tochter Sofia und Neffe Nicholas Cage. Mit platter Hollywoodschelte hat die Inszenierung wenig zu tun. Mit Mafiaromantik noch weniger. Dennoch handeln Schweigen & Co. keineswegs instinktlos. Die Schlüsselszenen und grossen Dialoge aus dem Oscar-Film und Mario Puzos Romanvorlage lassen sich Far A Day Cage genüsslich auf der Zunge zergehen. So wird der Aufstieg und Fall des Corleone-Clans erstaunlich anschaulich, auch wenn die Darsteller unermüdlich aus der Fiktion ausbrechen.
LUSTIG. Silvester von Hösslin mutiert vom ehrlichen College-Boy zum Patron der Mafiadynastie und legt dabei, erst unmerklich, dann unübersehbar, sein Gefühlsleben auf Eis. Jesse Inman verkörpert den Casinomafioso alter Schule, der das dreckige Drogengeschäft verachtet. Nebenbei ist Don Vito mit den ausgepolsterten Unterkiefern eine lustige Parodie auf Marlon Brando.
Das Ensemble wechselt im Handumdrehen Perücken, Hüte, Rollen. Mal mimen sie die Corleones, mal die Filmstars, mal die Theatergruppe, die ihre Erzählmittel auf den Prüfstand stellt. Eben singt der Basler Philippe Graff (alias Al Martino alias Johnny Fontane alias Frank Sinatra) ein schmalziges Playback. Kurz darauf gibt Graff den Sonny Corleone, den << Tough Guy>> des Syndikats. Er prügelt drauflos und stirbt in einer MP-Salve. Mittels Pyro-Weste soll sein Tod actionreif nachgestellt werden – was Graff sichtlich widerstrebt. Schliesslich hat das Ensemble vorher erklärt, dass dieser Special Effect bei den Dreharbeiten ein unerprobtes Risiko gewesen sei.
Genau darin besteht die selbstironische Qualität der Inszenierung: Das Making-of flimmert ständig mit, so wie das Storyboard auf der Leinwand. Kommt hinzu, dass Far A Day Cage nicht nur grandios spielen, sondern auch singen und musizieren. Und kochen. Während Don Vito angeschossen wird und sein Leibwächter bei den Fischen landet, brutzelt des Ensemble Zwiebeln glasig – dem Publikum sind <> versprochen. Im Eifer einer Schlägerei plumpst dann eine Tüte Zucker in die Salsa die Pomodoro. Eine kalkulierte Panne. Ersatzweise wird der Pizzakurier engagiert. Dann bitten die Mafiosi zum Bankett: Das Publikum setzt sich um einen monumentalen Tisch, speist, schlürft Vino, lauscht der Kapelle, darf seine Meinung zu Coppolas Meisterwerk äussern. Selten hat die Postdramatik ihr Publikum so offenherzig umarmt, und sich selten so originell mit einer sinnlichen Theaterästhetik versöhnt. Ein Dreistundenabend auf hohem Niveau.
(BAZ-Kulturmagazin, 30. Mai 2009/ Stephan Reuter)

Die Zürcher Theatergruppe Far A Day Cage um Regisseur Tomas Schweigen erzählt, diskutiert und verulkt Coppolas Mafia-Streifen "Pate I-III".


Ein reizendes sizilianisches Pärchen und eine lupfige Tarantella ab Plattenteller begrüssen das Publikum: "Piacere", willkommen in der Familie Corleone. Kein leeres Versprechen, denn am Schluss gibts eine Fotografie, auf der alle Platz finden: Die 70 Gäste und das achtköpfige Ensemble. Und wie es sich für eine grosse Familie gehört: Man isst zusammen, an einem riesigen Tisch, der gleichzeitig zur Bühne wird. Serviert wird allerdings nicht die versprochenen Spaghetti alle Sarde, deren Sauce das Ensemble zu Beginn in Angriff nimmt, sondern vom Kurier gelieferte Schnellpizza in Kartonschachteln.
Kreative Pannen
Das mittelmässige Essen bleibt nicht die einzige - beabsichtigte – Panne des gut dreistündigen Abends. Es wimmelt davon, und jede ist ein Ereignis, das man nicht missen möchte. Was Far A Day Cage produziert, scheint fast durchwegs improvisiert. Störungen, Unterbrechungen, Diskussionen, Streitereien, sprachliche Ungereimtheiten machen der Illusion immer schnell ein Ende und geben dem hervorragenden (selbst)ironischen Spiel zusätzlichen Drive.
Der Abend folgt Coppolas Filmen häufig Wort für Wort und geht doch eigene Wege. Er erzählt nicht einfach nur die Geschichte vom Aufstieg und Fall des Corleone-Clans, sondern hinterfragt sie. Mehr noch. Er bringt die Hintergründe ins Spiel: Die Filmpolitik der Verleihfirma Paramount oder Coppolas mafiose Taktik, seiner Familie den Weg ins Filmgeschäft zu ebnen.
Hinreissendes Spiel
Hinreissend agieren die Schauspielerinn und Schauspieler, allen voran Jesse Inman als Marlon Brando alias Godfather Vito Corleone, Silvester von Hösslin als Michael Corleone und Grazia Pergoletti als Michaels Frau Kay. Dass sie und auch die anderen Mitglieder des Ensembles mehrere Rollen spielen und Sprachen sprechen, ist Teil des verfremdenden Konzepts von Far A Day Cage. Kommt dazu, dass alle zusammen eine ausgezeichnete Musikgruppe bilden und auch filmisch, fotografisch und gesanglich einiges zu bieten haben.
Das Stück ist – nicht trotz, sondern dank seiner Längen – ein Wurf, den sich selbst eingefleischte Coppola-Fans nicht entgehen lassen sollten. <> bestätigt einmal mehr das innovative, spielfreudige Potential von Tomas Schweigen und Far A Day Cage
(Zürcher Oberländer)

Im Schoss der Theater-Familie


DIE BÜHNE UND DIE MAFIA Tomas Schweigen gastiert mit "Der Pate I-III" am HAU. Kochen und Blutvergießen stehen im Dienst des Kollektivs
Man kennt das von italienischen Opernsängern, die nach Ende der Vorstellung, nach all den Arien, der Empathie und der gesanglichen Endstufe der Not nur noch eines wollen: heim zur Mama. Das Ende von Tomas Schweigens "Pate I-III", wenn der gealterte Corleone, ja jener Don Michael Corleone, nochmal auf seine Frau trifft, lässt sich damit in gewisser Weise vergleichen. Nach all den Intrigen, Schießereien, Verrat, mafiosen Schiebereien, aber dem Leerlauf, der Selbstbefragung, dem gemeinsamen Musizieren flüchtet er sich verbal zurück in den Schoß der Familie und wäscht seine Hände in Unschuld: "Ich habe mein ganzes Leben doch nur meine Familie beschützen wollen."
Die ist allerdings kein Zufluchtsort mehr. Der Corleone-Clan ist längst in der Auflösung begriffen. Der Patron hat im Racherausch selbst dafür gesorgt, und auch die Zuschauer bekommen jetzt ihr Rausschmeißerlied: die ohrwurmhafte Paten-Melodie in der Balkan-Pop-Variante, und das ist dann nochmal eine bewundernswerte Energie-Mobilisierung nach dreieinhalb Stunden, die man größtenteils an einem rotkarierten Riesenfamilientisch verbringt. Wo la familia Corleone zwischendurch Pizza serviert, die der Bringservice in hohen Pappschachtel-Stapeln hereinträgt und sich der Abend mithilfe solcher Wirklichkeitseinschübe nicht nur von der Filmvorlage löst, sondern auch mit dem Theaterraum sein Spiel treibt.
Drei Teile hat die von Tomas Schweigen und seiner Gruppe Far a day Cage in Zürich erarbeitete Inszenierung des "Paten", die bis Samstag am Hebbel am Ufer gastiert und sich anfangs ihr Vergnügen damit macht, Marlon Brando nachzuspielen. Der Schauspieler Jesse Inman ist mit dunklem Anzug, künstlichen Hamsterbackenimplantaten und angeklebtem Bärtchen ganz auf den Italo-Gauner getrimmt, der am Hochzeitstag seiner Tochter in kurzen schnellen Szenen krumme Geschäfte einfädelt. Je stärker beteuert wird, dass es nur ums Geschäftliche geht, desto familiärer wird allerdings die Szenerie. Inmans Don Vito krempelt die Ärmel hoch und schmeckt höchstpersönlich am Herd, der erst mal das einzige Bühnenrequisit bleibt, das Tomatensugo ab. Nach und nach treten die Schauspieler aus ihren Rollen, kommentieren Handlung und Filmgeschehen, streuen Anekdoten über die Entstehung des Films ein und über ganz allgemeine Arbeits-, Dreh- und Entstehungsbedingungen, die nach und nach in den Mittelpunkt rücken.
Prozesse des kollektiven Zusammenseins haben es dem Theatermacher Tomas Schweigen angetan. Seine jüngste Arbeit "MyState", am Theaterhaus Jena im Mai auf die Bühne gebracht, beginnt etwa mit einem zehnminütigen Vorspiel, in dem fast wie in Stanley Kubricks "Odyssee im Weltraum" eine Handvoll WG-Bewohner in einen Hinterhof ausschwärmt, heimisch wird, frisst, streitet, bei der Gemeinschaftsbildung in Konflikte ausbricht, die Möglichkeit der Bewaffnung entdeckt und im Weiteren die Rituale der Staats- und Souveränitätsgewinnung durchspielt. "Pate I-III" geht wiederum den Weg von nachgestellten Filmszenen über das gemeinsame Pizzaessen hin zu erfundenen Dreharbeiten, die erst nach allerlei Querelen und Verstrickungen zustande kommen. Ein Schauspieler will unbedingt den bad guy spielen, der Hauptdarsteller des Don Corleone hat reichlich seltsame Szenen-Ideen. Es geht an diesem Abend bald nicht mehr allein um die familiären Verstrickungen der Corleones, sondern es geht vor allem um die heterogene Schauspieltruppe, die in ihrer familienähnlichen Organisation nicht minder den Dynamiken der Kollektivbildung unterworfen ist wie der mafiöse Clan.
Die ursprüngliche Filmhandlung kreuzt Schweigen im "Paten I-III" mit den mythenbeladenen Anekdoten rund um Coppolas Dreharbeiten. Die Live-Entstehung des Theaterstücks ist ganz offen beeinflusst von den Machtspielen hinter der Bühne. Auf formaler Ebene funktioniert diese ästhetische Durchlässigkeit hervorragend, Szenen wechseln gleitend, alles bleibt im Fluss. Nicht umsonst wurde der Abend zu den wichtigsten Festivals der freien Szene - "Impulse", "Spielart" in München und "Auawirleben" in Bern - eingeladen. Von leichter Hand, ohne falsche Töne ist dieser Abend auf die Bühne gebracht, sieht man von einigen überdrehten Befindlichkeitsjammereien am Ende ab. Über das reine Spiel hinaus wirft die Parallele zwischen den mafiosen familiären Strukturen und den Verstrickungen bei der Kunstproduktion am Ende aber doch mehr Fragen als Antworten auf. Die Nähe bleibt dann doch eine nebulöse Behauptung. Diese Leerstelle füllen Schweigen und seine Ensemble dann allerdings mit Verve, Spiellust, Rotwein und Pizza.
(taz; 19. Juni 2010/ Simone Kaempf)

Der Pate bittet zu Tisch: Pizza-Essen mit Don Corleone


Haben Sie schon einmal mit Don Corleone an einem Tisch gesessen?
Bei der dreieinhalbstündigen Theater – Variante «Der Pate I-III» von Tomas Schweigen und seiner Zürcher Theatergruppe «Far A Day Cage», die zurzeit im HAU 2 zu sehen ist, werden die Zuschauer für die zweite Hälfte des Abends an ein riesiges Tischquadrat gebeten, wo sie über den Film mitdiskutieren oder es bleiben lassen können – kein Mitmachzwang. Ausserdem gibt's Pizza für alle.
Die legendäre Mafia-Familien-Trilogie von Francis Ford Coppola wird hier in einer Mischung aus sinnlichem Fest und Meta-Medien-Spektakel aufbereitet. Dabei geht es weniger um den spielerischen Nachvollzug der komplizierten Gangster-Saga. Im ersten Teil werden noch ausschnitthaft Filmszenen mit maximaler Nähe zu den grossen Vorbildern Al Pacino und Co. nachgestellt. An der langen Bühnen-Tafel wird nebenbei in Echtzeit eine herzhaft duftende Tomatensauce zubereitet. Jesse Inman spielt mit vorgeschobenem Unterkiefer und nahezu derselben Rau-Stimme wie Marlon Brando, Philippe Graff ist als Tom der zurückhaltende Berater, als Sonny aufbrausend impulsiv. Da ist jedes Augenbrauenverziehen minutiös abgeschaut, das väterliche Wangen-Tätscheln wird zur Running-Gag-Geste. Den Beat brutaler Schläge und tödlicher Kugeln geben Topfdeckel und Holzbrettchen vor, während Michaels Sizilien-Exil als Diashow präsentiert wird. Und dazwischen werden immer wieder kleiner Meta-Beobachtungen eingestreut.
Das Erzählen der Geschichte wird immer mehr von Reflexionen über Machart und Struktur verdrängt, bis man Coppola am Ende Probeszenen für den ursprünglich nicht geplanten dritten Teil drehen sieht – eine selbstbezügliche und doch über weite Strecken sehr vergnügliche Angelegenheit. Dabei ist es nicht nur das virtuose Hinein- und Hinausspringen in und aus den Rollen, mit dem die Truppe besticht. Charmant ist vor allem der unprätentiöse Making-of-Gestus, mit dem sie ihre Kollektivarbeit präsentiert. So finden sie sich auch immer wieder zur Musik-Combo zusammen und lassen die Ohrwurm-tauglichen «Pate»-Melodien erklingen. Als Zuschauer muss man zwar vor allem gegen Ende manche Zähigkeit überstehen. Auch analytische Tiefenschürfungen sollte man nicht erwarten, eher ein leichtes Anekdoten-Potpourri. Als Coppola-Fan sollte man sich hier aber unbedingt zu Tisch bitten lassen.
(Berliner Morgenpost; 19. Juni 2010/ Anne Peter)